Bis vor kurzem gehörten mein Mann und ich noch zu dem überschaubar kleinen Kreise von „kein-Corona-gehabt“.
Anfang März hatte ich eine Routineuntersuchung beim Hausarzt und er fragte mich, wie oft ich schon Corona hatte. Keinmal.
Wow – das ist selten! Meine letzte Impfung würde aber schon lange zurückliegen. Viel Immunabwehr sei da nicht mehr zu erwarten.
Er riet zum Boostern.
Ich fragte ihn, wie bei ihm der Coronaverlauf war. Nicht weiter schlimm, winkte er ab. Ein paar Tage leichter Schnupfen, das wars.
Ich hätte mich trotzdem sofort bei ihm neu impfen lassen, doch das war nicht möglich. Die Nachfrage an Boosterimpfungen ist so gering, dass es nur noch eine Impfstelle gab, die ca eine Stunde von uns entfernt lag und wo es auch etwas kompliziert war, Termine zu bekommen.
Deshalb entschied ich mich, es drauf ankommen zu lassen und mich nicht impfen zu lassen. Mir war schon klar, dass meine Arbeit in der Grundschule ein höheres Risiko darstellt an Corona zu erkranken. Das Risiko nahm ich in Kauf.
An meinem Geburtstag musste ein Kind gerade dann spucken, als ich im Flur an ihm vorbeilief. Vorrangig kümmerte sich die Klassenlehrerin um das Kind, aber ich war auch kurz involviert.
Später überlegte ich, ob ich nun wohl eine Magen-Darm-Grippe bekommen würde? (An Corona hatte ich gar nicht gedacht).
Ich wischte diesen Gedanken weg und genoß lieber meinen Geburtstag, das schöne Wetter und den herrlichen ersten Ausritt auf Levi!!
Als es mir zwei Tage danach noch immer gut ging, dachte ich: Glück gehabt, eine Magen-Darm-Grippe wirst du jetzt nicht mehr bekommen.
Doch am dritten Tag fühlte ich mich abends plötzlich etwas schwach. Und dann ging es los…
Wie in einem Strudel zog es mich in der Nacht immer weiter nach unten. Der Kopf wurde schwer, als hätte man Zement eingepumpt. Ein sonderbar hässlicher Kopfschmerz war das! Eine elende Übelkeit durchzog den Magen und es verlangte absolutes Stillliegen, um nicht spucken zu müssen.
Ich dachte an das arme Kind und konnte nun nachfühlen wie es ihm in der Schule gegangen war. Schrecklich!
Der Schüttelfrost kam und ging. Die Hitze am Körper kam und ging. Das Fieber war spürbar da.
Ich war viel zu schwach um mich von einer Seite zur anderen zu drehen. Ich konnte nur ganz still DALIEGEN mit geschlossenen Augen. Selbst einen Gedanken zu fassen, war mir zu anstrengend.
Das ging die Nacht und den ganzen Tag so. Durch das Fieber waren die inneren Bilder sehr seltsam!! Ständig zogen hässliche Fratzen an meinem inneren Auge vorbei. Hässlich, furchterregend, dunkel…
Nachdem die Fratzen sich verkrümelt hatten, sah ich immer wieder ganz klare Kindheitserinnerungen vor mir. Ich roch und fühlte alles ganz deutlich aus dieser Zeit. Die Farben dieser inneren Kindheitsbilder waren sehr leuchtend und unnormal grell.
Manchmal wusste ich in diesem Zustand nicht mehr, was ist real: 1970 oder 2023? In welcher Zeit befinde ich mich??
Eigentlich soll man viel trinken. Und mein lieber Mann hatte mir auch extra eine Tasse Tee an das Bett gestellt. Es war mir am ersten Tag aber fast nicht möglich, mich aufzusetzen um einen Schluck zu trinken.
Eine extrem zähe, schwere, schwarze Masse drückt dich ins Bett. Du kommst nicht dagegen an. Mag dein Wille auch noch so stark sein, die Masse ist stärker.
Am nächsten Morgen war alles ein wenig besser. Es schien, der Zement sei teilweise aus den Ohren gerieselt. Die Augen konnten geöffnet werden, dem Magen ging es etwas besser und ich konnte sogar ein klein wenig essen und trinken.
Nun machte ich einen Corona-Test und hoffte, dass ich auch wirklich Corona habe. Ich wollte nicht so elend im Bett liegen, nur für eine Magen-Darm-Grippe! Wenn schon, denn schon!!
Ja, es gab sofort zwei Striche. Und bei meinem Mann auch! Ich hatte ihn angesteckt. Letztlich war das gut, denn so mussten wir uns nicht voneinander separieren. Da es meinem Mann von Beginn an etwas besser ging wie mir (wobei auch er gelitten hat!) konnte er uns „versorgen“. Er lief auch immer wieder eine kleine Runde mit Mila. Dafür bewunderte ich ihn sehr. Ich wusste nicht, wie ich die paar Schritte zum Bad schaffen soll. Mit Mila hätte ich niemals spazieren gehen können!
Nach vier Tagen wurde das Fieber bei mir besser. Die zähe Masse, die mich ständig ins Bett zerrte und dort niederdrückte, wurde ein klein wenig milder. Und so konnte ich in guten Phasen des Tages auch wieder mit Mila ein paar Schritte draussen in unserem Garten machen.
Es ist nicht so, dass die Genesung stetig voranschreitet und dass es täglich besser wird. Es verläuft mehr in Wellen.
Mittlerweile sind wir beide wieder negativ. Für die Psyche ist es gut zu sehen, dass da keine zwei Striche mehr da sind. Aber Höhenflüge dürfen wir uns nicht erlauben. Wir brauchen noch viel Ruhe und Erholung. Das zeigt uns der Körper deutlich.
Der Geruchssinn ist weg, aber das haben ja viele Coronaerkrankte.
Ich finde es spannend, wie schnell man vergisst, wie dreckig es einem wirklich ging.
Kennt ihr das Phänomen auch? Wenn ihr so richtig unten liegt, dann könnt ihr euch kaum vorstellen, jemals in eurem Leben nochmals Kuchen und Schnitzel zu essen. Ihr könnt euch nicht vorstellen, jemals wieder eine Stunde lang einen Spaziergang zu machen. Ihr könnt euch nicht vorstellen von morgens bis abends auf den Beinen zu sein.
Und dann seid ihr gesund, alles läuft wieder und plötzlich habt ihr vergessen, dass ihr wirklich so krank ward. Dann fühlt es sich plötzlich so an, als sei Corona gar nicht so sehr schlimm gewesen. Ein milder Verlauf.
Bestimmt hatten mein Mann und ich auch nur einen milden Verlauf. Denn wir mussten nicht ärztlich versorgt werden. Wir lagen nicht im künstlichen Koma und wurden beatmet, wie derzeit ein früherer Nachbar von uns.
Wenn ich von seinem Schicksal höre, dann bin ich über meinen „milden“ Verlauf doch sehr dankbar.
Trotzdem: Mir hat es gereicht mit Corona!
Treffe ich meinen Hausarzt wieder, so werde ich ihm sagen: Also „nur ein Schnupfen“ war es bei mir ganz sicher nicht.
Jetzt hoffen wir, dass bei meinem Mann und mir nichts zurückbleibt. Dass wir unsere alten Kräfte eines Tages zurückbekommen und auch der Geruchssinn wieder zurückkehrt.
Mila war eine sehr geduldige Krankenschwester. Sie hat uns ohne zu nörgeln in Ruhe gelassen. Doch jetzt ist sie sichtbar froh, dass wir wieder mehr im Leben stehen.